LOOK.
Innenschau halten. Meine Sinne und meinen Atem als Tore zur Welt schätzen und nutzen lernen, um wahrzunehmen, was JETZT ist, wenn ich innegehalten habe. Meinen Sinnen vertrauen lernen – auch da, wo die Worte fehlen. Beobachten, horchen, schnuppern, spüren, tasten, schmecken, riechen. Meine Atmung, Körperempfindungen, Gedanken und Gefühle wahrnehmen lernen in freundlicher, zugewandter Haltung, ohne sie zu bewerten, eher im Staunen dafür, dass uns die Sinne geschenkt sind. Geschenkt, um in Beziehung zu sein. Offenheit für Überraschung üben. Immer wieder neu mit frischem Geist. ERFORSCHEN.
Es handelt sich darum, alles zu leben.
Wenn man die Fragen lebt,
lebt man vielleicht allmählich,
ohne es zu merken,
eines fremden Tages,
in die Antwort hinein.
RAINER MARIA RILKE
Meine Beziehung…
Leben ist Bewegt-Sein und Mich-Bewegen-Lassen. Hinspüren und waches Erforschen. Auf zahlreichen Rucksack-Reisen Lebenskraft, Mut und Vertrauen in meine Sinne und in das Gute in den Menschen erfahren. Aus wenig viel machen, mit wenig glücklich sein. Vom Vertrauen ins Leben und in die Begegnungen des Moments getragen, nicht wissend, wohin die Reise mich am Abend führt. Zuhause-Sein in der Fremde. Zugehörigkeit erfahren auch ohne Sprache, oft tief eingetaucht in den ganz anderen Alltag. Gelebte Beziehung, wo das Ergreifen-Lassen vor dem Be-Greifen steht.
Und wenn es sich dann nicht mehr “wohlig” anfühlt? Frühe Berührung mit Fragen der Gerechtigkeit, des Warum? und verstärkt des Wozu?. Krise als Gelegenheit zu etwas Neuem. So der Weg der Gewaltlosigkeit in einer mafiadominierten, feudalistischen Gesellschaft im ländlichen Sizilien im Umfeld Danilo Dolcis. Zum Ende meines Studiums darf ich mitleben. Dolcis Vorbilder waren Paolo Freires Befreiungspädagogik und Sokrates’ Mäeutik (Hebammenkunst) im Dienst der analphabetisierten ländlichen Bevölkerung Westziliens schon vor fünfzig Jahren: Welche Rolle spielt Bildung hier? Welche Rolle die Entwicklung “von unten”? Welche transformierende Kraft kann Gemeinschaft entstehen lassen?
Und welche Werte machen wir geltend, wenn wir unser Leben ausrichten? Israel, Palästina, Jordanien, Ägypten – was bedeutet “gut”, was ist “schlecht” in dem, was wir Menschen für unsere Überzeugungen zu tun – oder auszulassen – fähig sind? Kann in uns Menschen wirklich alles so nah beinander sein? Thich Nhat Hanhs Gedicht “Please call me by my true names” höre ich erst Jahre später, und ich finde es tröstlich.
Das Leben bejahen, Zugehörigkeit und Beziehung bejahen – können wir das tiefer verstehen lernen?
Und immer wieder neue Gegensätze im Weitblick in die “Welt” auf unserem Planeten: Was verbindet uns Menschen, uns Frauen und Männer, in der Kaffee- und Palmherzplantage Costa Ricas, auf den Flüssen im Amazonasgebiet Brasiliens, wo sich Frauen und Mütter selbstbestimmt organisieren, beim gemeinschaftlichen Verwalten des raren Naturertrags in den kargen Wüstengebieten der mauretanischen Sahara, beim Versuch, Viehzüchter-Bauern-Konflikte im ländlichen Tschad durch Straßentheater zu entschärfen, arm und reich in der Stadt, alphabetisierte Menschen und nicht alphabetisierte? Wo werden Verbindungen und Auswirkungen dessen sichtbar, wie sich unsere Gesellschaften verhalten, wie wir oft wenig bewusst unseren Alltag leben? Wo sind die Brücken zwischen Sprachen, Kulturen, Religionen? Was verbindet uns Menschen im Innersten? Wie gelingt es, scheinbar Widersprüchliches – aus Ehrfurcht vor dem Leben – stehen zu lassen, zu integrieren, ja, damit glücklich zu werden? Die erfahrenen Geschenke in Form von Begegnungen werden mich begleiten und mir Quelle für das Vertrauen ins Leben sein. Immer wieder: tiefes Vertrauen. Mich-Einlassen. Manchmal ein Annehmen, manchmal ein Auflehnen. Ja, auch Demut ist Teil des Ganzen – Demut, die mir Br. David Steindl-Rast als Dien-Mut verständlicher macht. Und immer wieder Offenheit für Überraschung…
Dann das Geschenk und Wunder des Mutter-Werdens und Mutter-Seins, und damit verbunden wieder die Erfahrung von “Hebammenkunst”, dieses Mal zutiefst menschlich und an mir selbst. Was bestimmt unser Umfeld, was können wir selbst bestimmen, wo ist Unbewusstes zutiefst am Zuge, wo sind unsere Hindernisse und Grenzen, und wo können wir nur annehmen lernen, was ist? Lernen, Mut zu haben, hinzuhören und nachzufragen. Mut, mich auch dem Tod zu nähern, denn der ist näher dort, wo das Leben ist, als ich früher dachte.
Dann ein 5-tägiger ZPO-Retreat in Auschwitz 2017 mit Bernie Glassman, dem letzten Jahr, an dem er teilnahm: Wie passt in die Ver-Störung angesichts der neblig-feuchten Kälte, Starre und Leere Birkenaus Bernies Satz: “My intention here is to commemorate the joy of life…“? Und die Kategorien ‘Opfer-Täter’ verschwimmen, kein Schwarz-Weiss mehr, so in Israel, Palästina, Auschwitz, in Vietnam, in Cambodia…
Und in all dem täglich immmer wieder: Wie begleiten wir Kinder bestmöglich und liebevoll ins Leben? Was braucht es heute in den Systemen unserer Gesellschaft für das Zusammenleben auf diesem Planeten – für unsere Kinder und deren Kinder?
Und dann immer wieder Verlust, Wandel, Sterben, Loslassen: Überall ist Unbeständigkeit, wenn wir wach hinschauen. Vorher habe ich das so bewusst nicht wahrnehmen können oder wollen. Wo finde ich Sinn, wenn mir das Akzeptieren des Wandels schwer fällt? Ich erahne Antworten für schwierige Zeiten bei Thich Nhat Hanh und Br. David Steindl-Rast. Gelegenheit für Neues tut sich auf. ERFORSCHEN.
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